Der Begriff vita contemplativa geht auf die antiken Philosophen Aristoteles und Epikur zurück und wurde im Mittelalter von Benedikt von Nursia, dem Begründer des gleichnamigen Ordens, und dem Dominikaner Thomas von Aquin wieder aufgegriffen und vertieft. Sie sahen in der vita contemplativa das menschliche Ideal. Diese Lebensform wurde dem „Aktivismus“ vorgezogen, um „das rechte Gleichgewicht zwischen Ruhe der Betrachtung und der Emsigkeit im Dienst zu finden“, wie es Papst Franziskus in einer Ansprache „ora et labora“ (Beten und Arbeiten) 2016 in Rom zusammenfasste. (Libera Editrice vaticana, Rom, 2016). Darin kritisierte er, dass mit dem Beginn der Neuzeit und verstärkt seit der Moderne das Gleichgewicht zwischen vita activa und vita contemplative mehr und mehr verloren gegangen sei. Das Buch zur Ausstellung vita contemplativa in der Architektur Galerie Berlin stellt Bauten von drei jungen Architekten aus Deutschland, Polen und Norwegen vor. Sie stehen für eine intensive Auseinandersetzung mit der in der europäischen Ideengeschichte tief verankerten Vorstellung einer dem Betrachten und der Reflexion gewidmeten Lebensform. Im übertragenem Sinne soll die Ausstellung dazu anhalten, das Gleichgewicht zwischen ora et labora wiederzufinden. Eine Vision, wie sie Friedrich Niezsche bereits 1882 in „Architektur der Erkennenden“ beschrieb: „Es bedarf einmal, und wahrscheinlich bald einmal, der Einsicht, was vor allem unseren großen Städten fehlt: stille und weite, weite, weitgedehnte Orte zum Nachdenken, (…) welche als Ganzes die Erhabenheit des Sich-Besinnens und Bei-Seite-Gehens ausdrücken.“ (Friedrich Niezsche, „Die fröhliche Wissenschaft“, Viertes Buch, Aphorismus Nr. 2018″, 1882).